Cover "Das Gottesurteil"Jörg Chales de Beaulieu:

Das Gottesurteil
Eine spätmittelalterliche Erzählung
von Glaube, Aberglaube und Berechnung

Gebunden, 120 Seiten
ISBN 978-3-934092-62-4
erschienen 2000

EUR 7,90

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Zu diesem Buch:

Elisabeth Terwey vor dem göttlichen Gericht: Ihre Ankläger sind Ferdinand Overholt, ihr Vater, und ihr Schwager Engelbert Terwey. Alle drei berichten von dem Tag im ostwestfälischen Eggegebirge, an dem ihre Welt aus den Fugen geriet - und das nur, weil Elisabeths Mann Tilman der Soester Fehde im Jahre 1448 zum Opfer fiel. Drei Menschen erzählen ihre Irrungen und Wirrungen, die sie am Ende allein durch ein Ordal, ein Gottesurteil, zu lösen vermögen.

Der Autor entführt in eine fremde Welt und fordert auf, Gewißheiten hinter sich zu lassen: über den bäuerlichen Alltag im Mittelalter, über die Macht des Glaubens und über die Geschichte der Frauenbefreiung. Er sucht Vergangenes auf - jenseits der gewohnten Pfade. Seine Figuren müssen nicht so sein, wie wir sie heute oft haben wollen: modern und vertraut oder rückständig und exotisch. Sie dürfen vielmehr sein, was sie sind: Menschen aus einer anderen Zeit.

 

Leseprobe

Ja, ich bin an diesem Morgen erwacht, ja, ich habe die Sonne gesehen, doch sie schien mir nicht. An diesem Morgen brannte sie durchs Fenster, wie sie es nur im März und im Oktober vermag. Wie liebte ich es noch im Frühling, daß sie mit meiner Nase spielte, vorwitzig schlich sie sich an und mit einem Mal fand sie den Weg durch die kleine Öffnung in der Wand des Hauses, in dem ich seit kurzem mein junges Glück erlebte. Sie kribbelte in meiner Nase, daß sie zu glühen begann, sie kitzelte meine Wimpern, daß ich blinzelte. Vorbei, der Oktober brachte mir dies Glück nicht zurück, denn dieser Morgen, der letzte, an dem sie mich so verspielt begrüßen konnte, eröffnete einen Tag voller Sorgen.

Leer war das Bett neben mir, wo doch mein Tilman hätte lagern sollen. Wohl hatte mein Vater sich am Abend zuvor erboten, den Schlaf mit mir zu teilen, doch dies war mir zuwider. Seit mich mein Tilman in die Freuden der Liebe eingeführt, seit jener Nacht - o nein, nicht die nach der Hochzeit, in der wir viel zu trunken waren, sondern die danach - seit jener Nacht sollte kein andrer Mann mehr je an meiner Seite ruhen, nicht einmal mein Vater. Nicht daß er es je gewagt, gegen Gottes Gebot zu verstoßen und sich mir unziemlich genähert hätte. Doch wollt ich nicht mehr des nachts seinen fauligen Atem verspüren. Nun gehörte ich meinem Tilman, dessen zarte Hände mich berührten, so knospen und blühen ließen, wie es keinem Mann zuvor gelungen. Und nicht geklagt hatte er, daß ich keine Jungfrau mehr war. Jetzt fehlte mir noch ein Kind von ihm zu meinem Glück. Denn noch trug ich keines unter meinem Herzen.

Ob mein Vater dies recht fand, daß ich ihn aus meiner Stube wies? Was für eine Frage. Welcher Mensch kann die Nacht allein verbringen, ohne daß ihn der Teufel der Einsamkeit heimsucht? Kein Gesunder ist geschaffen dafür, daß er der wärmenden Nähe eines anderen entsage. Ja, eine Qual war es für ihn, daß sein eigener Sprößling ihm versagte, was unser Schöpfer für uns bestimmt hat. Er fluchte und schrie, doch er begriff nicht, daß die Zeit vergangen war, da ich wie jede gewöhnliche Bauerstochter mein Bett mit Vater, Mutter, Bruder und Schwester teilte. Viel mehr als seine Schläge jedoch schmerzte mich in dieser Nacht, wie in all den Nächten zuvor, die Einsamkeit.

Zehn Tage war es nun schon her, daß mein Tilman mit unserem Knecht Helmbrecht am 16. Oktober nach Horn aufgebrochen war, um dort zwanzig unserer Schafe und fünf unserer Rinder auf dem Markt zu verkaufen. Der Ertrag dieses Jahres war zu gering ausgefallen, um alle Tiere über den Winter bekommen zu können. Es war dies unsere erste gemeinsame Ernte gewesen, seit wir uns das heilige Sakrament der Ehe spenden durften. Und wieviele Felder hatten wir stehen lassen müssen, denn außer Helmbrecht hatten wir keine Hilfe. Der schwarze Tod hatte neun Jahre zuvor nicht nur Tilmans Mutter Benedicta hinfort genommen, sondern auch unsere Höfe in Mansholt und Riechoven von Menschen leergefegt. Satern und Altenbeken hatte der Verderber ebenfalls nicht verschont und selbst im Berg, wo mein Vater über dem Eisen seinen Schweiß vergoß, lichteten sich furchtbar die Reihen.

Doch nicht nur dies ließ uns die Arbeit sauer werden, daß kein Knecht und keine Magd weit und breit zu finden waren, die, nach dem Tod des alten Terwey, meinem Herzelieb und mir geholfen hätten, auch hatten sich die Bauern in der Gegend gegen meinen Tilman verschworen. Er sei ein Bote des Teufels, so hatten sie ihn geziehen, weil just, als Tilman seinen Bruder Roderich in Altenbeken besucht hatte, das schwarze Unheil dort zu wüten begonnen hatte. Wie verblendet sie doch alle waren, daß sie seine Unschuld nicht erkannten. Rund um ihn wütete die Sense, auch Roderich hatte nur noch wenige Tage zu leben, doch Tilman blieb aufs wunderbarste verschont. Sie erdreisteten sich, das Zeugnis des Himmels, das von seiner Reinheit zeugte, in sein Gegenteil zu verkehren. Im Bunde mit dem Gehörnten sei er, deshalb habe ihn dieser verschont, so tönten sie und trieben ihn mit Steinen aus dem Ort. Nur durch ein Wunder erreichte er Bolken lebendigen Leibes und es dauerte schließlich Monate, bis er wieder genesen. Seit diesen Tagen war ihm der Gang in die Dörfer verwehrt und er mußte die Güter des Hofes auf geheimem Weg nach Horn bringen, wollte er überleben.

Doch hatte es ihm diesmal geholfen? Tage des Bangens lagen schon hinter mir und weil meine beiden Männer fort waren, hatte ich niemanden, den ich auf die Suche schicken konnte. Wollte ich unsere Tiere nicht sterben lassen und mich selbst damit dem Tode weihen, mußte ich ausharren. Tag und Nacht arbeitete ich, um den Winter zu sichern, doch für wen? Wer aß das eingelegte Gemüse, wer das gesalzene Schwein? Für wen buk ich Brot, wer sollte sich am Käse freuen? Nach drei Tagen begann die Milch ihre Auferstehung zu feiern, zurückgelassen hatte sie nur ihren stinkenden Leichnam.

Soviel ich auch tat, an allen Ecken tat sich neue Mühe auf. Doch all dies war vom Herrn, denn so bewahrte er mich vor dem Tod der Sehnsucht und schenkte mir die Ruhe der Nacht. Aber über Nacht hatte sich der Stifter allen Unfriedens und allen Zweifels eingeschlichen und überraschte mich damit, daß er das Nagen und Klagen, ein Sehnen und Hoffen, Verzweiflung und Überdruß in mein Herz streute, wie auch an jenem Morgen.

Am Abend zuvor war mein Vater eingetroffen und mit ihm ein erster Schimmer Hoffnung. Trost vermochte er mir nicht zu spenden, doch er konnte mir eine große Hilfe sein. Jedoch, wir hatten uns am Abend nicht darauf einigen können, wer sich auf die Suche nach meinem Herzelieb machen solle. Am Morgen dieses unglückseligen Tages, an dem mein neues Leben beginnen sollte, wollten wir uns aber einigen, wer auf Bolken verharren mußte. Wir wußten nicht, daß es hierzu niemals mehr kommen sollte.

Höchster Richter, Ihr kennt meinen Vater und mich, und Ihr wißt, daß wir uns nicht immer wohlgesonnen. Zwar bin ich nur ein Weib, aber ich bin doch auch ein vernünftiges Kind Gottes, das seinen Kopf einzusetzen weiß, vielleicht sogar besser als ein Mann, wenn er mit dem Schwanze denkt. Solches aber ist nicht, was mein Vater liebt. Demütig liebt er seine Weiber, sittsam, arbeitsam und vor allem still. Ich wußte dies und so schwieg ich, als wir vor dem Frühstück die Tiere versorgten. Doch schon mit der Morgenmahlzeit begann der Ärger zwischen uns. Wie freute ich mich doch, daß ich jemanden hatte, für den ich das Mahl bereiten konnte, denn es ist ja ach doch so elend, nur für sich selbst zu sorgen. Um wieviel größer ist die Freude, wenn du einen guten Esser an Deinem Tisch weißt, der sich am bereiteten Mahl freut, und sei es nur eine einfache Soppe. Ein solcher war mein Tilman und glücklich ist noch heute die Erinnerung an das Strahlen in seinem Gesicht, wenn ich ihm das Essen auftrug.

Ich streichelte also dreimal die Worte der Heiligen Schrift, die ich um meinen Hals hängen hatte, so konnte mir nichts mißlingen. Ein Wort aus dem heiligen Evangelium des Johannes stand dort geschrieben. Dies sei mein Taufspruch, so sagte man mir, denn zu lesen vermochte ich es nicht. Schon am Abend zuvor hatte ich genügend Grobbrot in die Milch gelegt. Dies verteilte ich nun in zwei Tonschalen, denn mein Tilman hatte mich gelehrt, daß so das Essen viel leichter zu bewerkstelligen war, als wenn wir aus einem großen Topf aßen. Auch wählte ich die beiden ganz flachen Schalen, da ich meinem Vater etwas Gutes wollte, denn umso breiter die Schalen waren, umso mehr ausgelassenen Speck konnte ich darüber geben. Ich hängte nun den großen Topf über das Feuer und gab Butter hinein. Wohl weiß ich, daß man für eine Soppe nur Fett des Schweines nehmen soll, doch hatte ich in den vergangenen Tagen soviel gebuttert, wie ich es selbst nicht essen konnte. Und auch gesalzen dauerte es nicht lange, bis die Butter verdarb. Nun griff ich mir eine Schwarte, schnitt ein großzügiges Stück herunter, würfelte es und gab es in die sprudelnde Butter. Was war das für ein Zischen und Dampfen, daß es eine Freude war. Seit mein Tilman fort war, war es das erste Mal, daß mir das Kochen wieder ein Lied entlockte, und so sang ich vor mich hin.