Danuta Anna Mydlarz:

Im Halbschatten der Linde
Erinnerungen an ein Dorf in Galizien
Paperback, 142 Seiten / ISBN 978-3-934092-61-7
erschienen 2000

EUR 6,90

 

Zu diesem Buch:

Die Autorin verbrachte jeden Sommer in der Kindheit bei ihrer Großmutter in Raclawówka, einem kleinen Dorf in Galizien (Südostpolen). Das Buch beschreibt die erlebte kleinbäuerliche Idylle, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert hat, aus einer romantischen, fast wehmütigen Perspektive.

 

 

 

Leseprobe

Als das Getreide endlich gemäht war, begann die Abfuhr. Wieder war es der Nachbar Miesik, der mit seinem Pferd und seinem Leiterwagen mehrmals zwischen den Feldern und dem Hof hin und her pendelte. Wir Kinder waren unzertrennliche Begleiter solcher Aktionen, denn die Fahrt mit dem Leiterwagen machte sehr viel Spaß. Auf dem Feld wurden die Garben aufgeladen und sehr hoch gestapelt, so daß wir dort oben ziemlich viel Angst hatten, aber das gehörte eben dazu. Am Haus baute man aus den Garben einen Schober, hoch wie ein Haus, den man mit einer Plane vor dem eventuellen Regen schützten konnte und der bis zum Dreschen dort so stehen blieb.

Ach ja, das Dreschen war schon etwas Interessantes! Vom Hörensagen weiß ich, wie es früher gemacht wurde, als meine Oma noch sehr jung war, ich habe mir es von ihr mehrmals erzählen lassen. Man wendete dafür unheimlich viel Kraft auf, und trotzdem wurde die Arbeit oft von Frauen ausgeübt. Man breitete eine saubere Plane aus, legte darauf eine locker gemachte Garbe, nahm einen Dreschflegel in die Hände und schlugen so fest auf die Ähren, daß das Korn sich löste und auf der Plane liegenblieb. Danach beseitigte man die Strohhalme und sammelte das Korn auf. So ein Dreschflegel bestand aus zwei Stöcken aus festem Holz - etwa fünf Zentimeter dick und von unterschiedlicher Länge -, die locker mit einem Riemen verbunden waren, man faßte an dem längerem Teil und schlug mit dem kürzerem auf. So hat meine Oma in ihrem Leben oftmals dreschen müssen, aber so lange man nichts Besseres kennt, nimmt man vieles als selbstverständlich hin.

Ich durfte es ganz anders miterleben. In den Zeiten, in denen ich in Raclawówka die Sommerferien verbrachte, war diese Tätigkeit schon automatisiert, dafür war sie aber nicht minder aufregend für uns Kinder. Die Zeit für das Mähen, Anfahren und schließlich Dreschen war sehr knapp, weil man nicht wußte wie lange das gute Wetter, bei dem man die Arbeiten begann, anhalten würde - der Schober mit dem geernteten Getreide stand ja im Freien. Die Art, einen Schober zu bauen, schonte das Korn, da die Garben mit den Ähren in die Mitte gelegt wurden, so daß außen nur die Strohhalme zu sehen waren, ergiebige Regenfälle jedoch hätten den ganzen Schober durchfeuchten können. Es gab im ganzen Dorf nur eine einzige Dreschmaschine, die gegen Entgelt von Hof zu Hof fuhr und dort das Getreide ausdrosch. Man wußte genau, wo sie sich zur Zeit befand und konnte so ausrechnen, wann sie etwa an den eigenen Hof kommt, dann hieß es alles andere stehen und liegen lassen und mit allen Kräften anpacken, damit sie so schnell wie nur möglich weiterfuhr. Nicht selten ist es vorgekommen, daß sie nachts kam und man bei starker, künstlicher Beleuchtung drosch. Das waren die aufregendsten Nächte meiner Kindheit, wann sonst durften wir denn schon die ganze Nacht aufbleiben? An Schlaf war dann ohnehin nicht zu denken, denn die Maschine machte einen fürchterlichen Lärm. Alle arbeiteten flink; es wurde eine Kette von Menschen gebildet, die verschiedene Tätigkeiten übernahmen, der eine stand auf dem Schober und warf die Garben hinunter, ein anderer hob sie auf und reichte sie an den nächsten, der sie lockerte und auf das Band der Maschine legte. Die Maschine erledigte ihre Aufgabe und spuckte lose Strohhalme aus, die man erst mal nur zur Seite schaffte, und natürlich Korn, das die letzte Person in der Kette mit dem Sack wegtrug. Der Maschinenführer wurde dabei mit allen Aufmerksamkeiten bedacht und selbstverständlich mit Getränken und Essen versorgt. Das Stroh, das man während des Dreschens nur zur Seite schob, wurde nachher mit einer Harke zusammengebracht und wieder zu einem Schober aufgeschichtet. Dieser blieb draußen stehen und wurde nach und nach im Stall verwendet.

Jetzt blieb nur noch, mit dem Korn zu einer Mühle zu fahren, um es mahlen zu lassen, dies hatte aber Zeit bis nach der Ernte. Dazu bat die Oma einen Nachbarn, sie mit den Säcken mit einem Pferdewagen dorthin zu fahren. Der Müller hatte seine Mühle an dem kleinen Fluß, dessen schwache Strömung schon ausreichte, um ein unterschlächtiges Wasserrad zum Mahlen anzutreiben. Er war ein gemütlicher, drahtiger, von Kopf bis Fuß mit Mehlstaub bedeckter Mann, der ein Kornsack so mühelos wie eine Einkaufstüte aufhob und nach oben schaffte. Seine Frau wiederum war, wie es sich für eine Müllerin gehört, eine mollige, nach Hefekuchen riechende Frau mit einem runden Gesicht und stets geröteten Wangen. Als ich das erste Mal mit der Oma zur Mühle mitfuhr, kannte meine Enttäuschung keine Grenzen. Ich war über das Aussehen der Mühle sehr verwundert, denn nach meiner kindlichen Vorstellung, die wahrscheinlich aus verschiedenen Märchen mit vielen bunten Bildern stammte, war eine Mühle immer ein rundes Gebäude aus Holz, mit freundlichen Farben bemalt und natürlich mit vier riesigen Flügeln, die durch den Wind in Bewegung gesetzt wurden. Und da stand ich nun vor einem völlig langweiligen, viereckigen Gebäude aus roten Steinen mit sehr kleinen Fenstern, an dem zu allem Überfluß noch das wichtigste fehlte - die Flügel. Der Müller bemerkte sofort meine Enttäuschung, die ihn irgendwie zu kränken schien, nahm meine Hand in die seine und führte mich in die Geheimnisse der Wassermühle ein. Er zeigte mir das große Wasserrad und erklärte mir ausführlich seine Funktionsweise. Dann nahm er die Säcke meiner Oma und mahlte das Korn in meiner Anwesenheit, so daß ich alles mitbekam und zum Schluß doch davon überzeugt war, daß es eine echte Mühle war.